Religion und Deutschland
Angeblich sind wir ein säkularisierter Staat. Doch gerade die weihnachtlichen Lockerungen der Corona Maßnahmen haben gezeigt, dass eine bestimmte Religion in Deutschland immernoch einen Sonderstatus genießt. Schluss damit!

Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Man sollte meinen, dass dieser Fakt inzwischen bei allen angekommen ist. Doch in unserem Land scheint das Christentum – und damit die Kirche – immer noch so tief verwurzelt zu sein, dass es große Teile unseres Lebens und auch der Politik mit bestimmt. Das ist durchaus problematisch, denn wenn die Politik eine bestimmte Religion vorrangig behandelt, schließt sie aktiv Angehörige anderer (oder keiner) Religionen aus. Und davon gibt es nicht zu wenige, schließlich sind wir in Deutschland als Einwanderungsland weltoffen und vielseitig. Im Jahr 2019 wurde geschätzt, dass noch 52% aller Deutschen Christen sind, Tendenz sinkend. Der große Teil des Rests ist konfessionslos oder muslimisch. Wir diskriminieren also knapp die Hälfte unserer Gesellschaft.
Das Hauptproblem dabei ist wahrscheinlich die Repräsentation. Wir werden regiert von christlichen Parteien, gerade einmal 31 der 709 Mitglieder des aktuellen Bundestages haben angegeben, einer nicht-christlichen Religion anzugehören. Lösen lässt sich das wohl nicht in den nächsten Jahren, jedoch können wir die Sonderstellung der Kirche spürbar aufweichen. Darüber möchte ich heute reden.
Konkret sind mir beim Vorbereiten des Themas mehrere Bereiche aufgefallen, bei denen Religion und Staat noch sehr eng verwoben sind. In den folgenden Kapiteln gehe ich auf diese näher ein. Dabei möchte ich insbesondere auch Alternativen zum Status quo vorstellen, sowie Chancen, die diese Alternativen mit sich bringen.
Kirchensteuer
Normalerweise ist jede Organisation für das Eintreiben ihres Mitgliedsbeitrages selbst verantwortlich. Nicht so die Kirche. Gegen eine Verwaltungsgebühr lässt sie das den Staat erledigen. Das Geld ist dann sogar steuerfrei. Sonst macht das keine andere Glaubensgemeinschaft, obwohl es eigentlich jeder Religion möglich ist. Vorausgesetzt, sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Theoretisch erfüllen viele Glaubensgemeinschaften die Kriterien dazu, mit einem Haken: Sie sind zu eng mit anderen ausländischen Staaten verzahnt, um als reine Religionsgemeinschaft zu gelten. Nicht überall auf der Welt wird zwischen Staat und Religion getrennt. Der Vatikanstaat wird wohl aus historischen Gründen toleriert.
Dabei könnte es so einfach sein. Wir haben in Deutschland nämlich schon ein hervorragendes Konstrukt für beitragsfinanzierte Organisationen: Den eingetragenen Verein. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass ein Verein keine wirtschaftlichen Ziele haben darf. Sollte für die Kirche also kein Problem sein. Vereine können sogar Steuervorteile genießen, sofern sie religiöse Zwecke verfolgen. Alles was für die Kirchen zu ändern wäre, ist einen solchen Verein zu gründen. Bei der Taufe gibt es dann ein zusätzliches Beitrittsformular und der Beitrag wird per Lastschrift abgebucht. Wenn jeder dörfliche Turnverein das kann, dann die Kirche sicherlich auch!
Aus Sicht der Kirchen ist die Umstellung selbst natürlich das Hauptproblem. Bestehende Kirchenmitglieder müssten dem neuen Verein beitreten, aktiv. Dass sich dabei einige den Beitragssatz von durchschnittlich 280€ im Jahr sparen wollen und nicht wieder eintreten, scheint naheliegend.
Eine solche Struktur könnte trotzdem Vorteile mit sich bringen. So sind zum Beispiel mehrere Arten von Mitgliedschaft denkbar, mit verschiedenen Beitragshöhen. Damit können Christen sich optional dazu entscheiden, über die Kirche soziale Projekte zu unterstützen. Auch denkbar wäre ein Zusatzbeitrag, der direkt der lokalen Gemeinde zugute kommt, um beispielsweise das Kirchengebäude zu erneuern. Die Abschaffung der Kirchensteuer ist also nicht nur die Richtigstellung eines Missstandes, sondern auch eine Chance für die Kirche, sich zu modernisieren und ein neues, zeitgemäßes Beitragsmodell zu schaffen.
Religionsunterricht
Ich weiß nicht, wie das bei euch war, aber zumindest meine Grundschule hat sich im Religionsunterricht ausschließlich auf das Christentum konzentriert. Extraunterricht gab es für Muslime. Schüler mit anderer oder keiner Religion hatten Pech. Auf der weiterführenden Schule wurden dann alle nicht-Christen in einem gemeinsamen Ethikunterricht gesammelt.
Dass das eine ziemlich eindeutige Bevorzugung einer bestimmten Religion ist, brauche ich nicht zu sagen.
Wahrscheinlich wollen wir aber nicht das Geld ausgeben, für jede Glaubensgemeinschaft einen eigenen Unterricht zu schaffen. Gleichzeitig ist es auch keine Lösung, das Religionsthema ganz aus der Schule zu verbannen, denn Religion ist auf der Welt viel zu allgegenwärtig. Hier also meine Lösung: Ein Religionsunterricht für alle, mit einem Lehrplan, der alle großen Weltreligionen behandelt. Dabei werden natürlich zunächst die Prinzipien, auf denen die jeweilige Religion basiert behandelt. Jedoch sollen mit zunehmendem Alter auch ethische und religionswissenschaftliche Fragen in den Vordergrund rücken.
Die Vorteile eines solchen Ansatzes sind offensichtlich: Wer mit mehr Religionen in Kontakt kommt, baut Vorurteile ab und kann andere Menschen besser verstehen. Vermittelte ethische Werte werden vom christlichen Glauben entkoppelt und werden so zu Werten der gesamten Gesellschaft. Es führt also insgesamt zu einem bessern Zusammenleben. Religionen aus mehreren Blickwinkeln zu behandeln kann religiösem Fanatismus vorbeugen. Wer seine eigene Religion differenziert betrachten kann, wird nicht blind Extremisten folgen. Alles in Allem führt dieser neue Religionsunterricht also zu einer toleranteren und besser informierten Gesellschaft mit gemeinsamen Werten.
Feiertage
Dass das Christentum in Deutschland eine Sonderstellung innehat, kann man sehr deutlich an unseren Feiertagen sehen. Ich habe im Folgenden alle Tage zusammengestellt, die in mindestens zwei Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag sind:
- Neujahr
- Heilige Drei Könige
- Karfreitag
- Ostermontag
- Tag der Arbeit
- Christi Himmelfahrt
- Pfingstmontag
- Fronleichnam
- Tag der deutschen Einheit
- Reformationstag
- Allerheiligen
- 1. Weihnachtsfeiertag
- 2. Weihnachtsfeiertag
Von diesen 13 Tagen haben 10 einen christlich-religiösen Hintergrund. Andere Religionen sind offensichtlich nicht vertreten. Wir erlauben also den Christen, ihre hohen Festtage stressfrei mit der Familie zu feiern, während Muslime oder Juden die Ihrigen mit Arbeit verbringen oder Urlaubstage opfern müssen. Ich finde das nicht in Ordnung.
Meine Lösung: Wir schaffen diese 10 religiösen Feiertage ab und ersetzen sie durch Tage mit historischer Bedeutung für unser Land. Dazu möchte ich die bestehenden Tage zunächst analysieren, dass wir auch sicher kein potentielles langes Wochenende ab-, oder gar einen zusätzlichen Werktag anschaffen: Es gibt acht Feiertage mit festem Datum, also variablem Wochentag. Zusätzlich liegen je zwei Feiertage an einem Montag und Dienstag, sowie einer am Freitag. Mit dieser Verteilung möchte ich die folgenden Feiertage vorschlagen:
- Neujahr (01. Januar)
Das neue Jahr mit einem freien Tag einzuläuten scheint mir eine gute Idee. Dieser Tag darf bleiben. Er ist sogar unerlässlich, um den Kater nach der ausgelassenen Silvesterfeier zu kurieren. - Tag des Spiels (letzter Donnerstag im Februar)
Bei Schmuddelwetter einfach daheim bleiben und mit der Familie Brett- oder Videospiele spielen. So lässt sich die Erfindung von Mensch-ärgere-dich-nicht durch Josef Friedrich Schmidt 1907/08 angemessen feiern. - Tag der guten Tat (26. März)
Uns geht es im weltweiten Vergleich sehr gut. Hoher Lebensstandard, solides Gesundheitssystem und wirtschaftliche Stabilität. Der Geburtstag Elsa Brändströms ist ein wunderbarer Anlass, unseren Reichtum anderen zu Teil werden zu lassen. An diesem Tag sollte jeder einmal darüber nachdenken, welchen guten Zweck er oder sie unterstützen möchte. - Tag der Arbeit (erster Freitag im Mai)
Dass der Tag der Arbeit in Deutschland ein festes Datum hat, finde ich ein Unding. Ein zusätzlicher freier Tag für die Arbeiterklasse sollte in jedem Fall zusätzlich sein und nicht zufällig auf einen Sonntag fallen können. - Ende des Nationalsozialismus und Europatag (09. Mai)
Genau genommen war die Kapitulation Deutschlands schon am 08. Mai. Trotzdem scheint es passend, dem Konflikt, der Europa in Schutt und Asche gelegt hat zu gedenken, und gleichzeitig das geeinte Europa zu feiern. Vielleicht entscheiden sich an diesem Tag ja einige Museen den Eintritt zu vergünstigen, sodass wir alle noch etwas mehr über unser Land lernen. - Hambacher Festtag (letzter Montag im Mai)
Ende Mai 1832 pilgerten mehrere hundert Deutsche zum Hambacher Schloss. Eine Bürgerbewegung, die erstmals laut nach nationaler Einheit und Volkssouveränität verlangte. Diese ersten Bemühungen, einen deutschen Staat zu schaffen ließen sich beispielsweise mit dem Besuch eines Mittelaltermarktes feiern. Die Jahreszeit solle dafür auch passen – nicht zu warm, aber auch nicht mehr kalt. - Sozialstaatstag (15. Juni)
Am 15. Juni 1883 schaffte Otto von Bismarck das weltweit erste Krankenversicherungssystem. Sein Ziel war es, die Arbeiterklasse für sich zu gewinnen. Dazu baute er in den folgenden 12 Jahren ein umfassendes soziales Versicherungswesen auf, die Grundlage unseres Sozialstaates. Diesen Tag begeht man am besten, indem man eben jenes System unterstützt. Blut, Plasma, Geld oder Arbeitszeit spenden sind immer willkommen. - Zeppelinstag (2. Juli)
Am 2. Juli 1900 schwebte Ferdinand Graf von Zeppelins Luftschiff zum ersten mal. Dieser Tag lässt sich hervorragend nutzen, um etwas über die Pioniere und Erfinder zu lernen, die den deutschen Erfindergeist weltbekannt gemacht haben. Und einen Ausflug ins Technikmuseum sollte jeder einmal machen. - Tag der Dichter und Denker (letzter Donnerstag im August)
Deutschland ist international als Land der Dichter und Denker bekannt. Zum Anlass Goethes Geburtstages am 28. August 1749, möchte ich einen Tag (oder gar ein langes Wochenende) vorschlagen, an dem die Deutschen in die Theater strömen, um ein Stück dieser deutschen Dichterkunst zu erfahren. - Tag der Deutschen Einheit (03. Oktober)
Die Wiedervereinigung mit der DDR muss ich wohl keinem erklären. Seit 1990 feiern wir diesen Tag, und das soll auch so bleiben. - Silvester (31. Dezember)
Wenn wir ganz ehrlich sind, hatte an Silvester bisher sowieso ein Großteil der Deutschen frei. Für ausgelassene Silvesterfeiern bis mindestens Mitternacht, möchte ich diesen Tag nun offiziell machen. Wer Partyvorräte braucht, muss diese am Vortag besorgen.
Die aufmerksamen Leser haben jetzt natürlich bemerkt, dass hier noch zwei Tage fehlen. Diese möchte ich zur freien Belegung zur Verfügung stellen. Schließlich möchte ich niemandem sein freies Weihnachten nehmen, oder anderen das Zuckerfest. Die Anzahl der gesetzlich verpflichtenden Urlaubstage soll dafür um zwei gehoben werden, zum Übergang werden alle Arbeitsverträge automatisch um diese Urlaubstage erweitert.
Von der Regierung festgelegte, religiöse Feiertage sind das Gegenteil der Trennung von Religion und Staat, zu der wir uns verpflichtet haben. Diese neuen Feiertage gedenken stattdessen der deutschen Geschichte und führen uns vor Augen, worauf unsere Republik aufgebaut ist.
Fazit
Die enge Verzahnung von Staat und Religion, wie wir sie heute haben muss nicht sein. In diesem Artikel habe ich Alternativen zum jetzigen Zustand aufgezeigt. Alle diese Änderungen bringen zusätzlich weitere Vorteile, die unsere Gesellschaft toleranter machen und uns unserer eigenen Geschichte bewusster. Besonders wichtig finde ich aber, dass diese Maßnahmen ein Zeichen gegen die Diskriminierung der nicht-christlichen Religionen setzen. Das sollte man wirklich mal angehen.
bis dann,
Sebastian