Zwei Wochen ohne Youtube

Ich bin zu viel auf Youtube. Ich weiß es, Youtube weiß es. Als Student war das an sich auch kein Problem, aber jetzt starte ich in den Beruf, noch während ich meine Masterarbeit schreibe. Ich muss effizienter werden! Zeit für ein Selbstexperiment.

Zwei Wochen ohne Youtube

Kennt ihr Joseph DeChangeman? Er ist ein genialer Youtuber, der sich für seine Videos immer wieder Selbstexperimenten unterzieht. So setzt er sich regelmäßig neuen Erfahrungen aus. Dabei dokumentiert er seine Beobachtungen über mehrere Tage und beschreibt, wie das Experiment sein Leben und Befinden beeinflusst. Genau das will ich hier auch versuchen.

Fangen wir also am Anfang an. Warum mache ich das Ganze? Dazu müsst ihr wissen, dass ich mich gerade in einer Übergangsphase befinde: Für die nächsten vier Monate arbeite ich halbtags in meinem ersten richtigen Job, die andere Hälfte der Zeit schreibe ich an meiner Masterarbeit. Verglichen zu meinem vorherigen Dasein als Vollzeitstudent ist das eine gewaltige Veränderung. Im Zuge dessen habe ich mir überlegt, wie ich meine reduzierte Freizeit effektiver nutzen kann. Dabei ist mir YouTube als hauptsächlicher Zeitfresser sofort ins Auge gesprungen. Direkt dahinter vermutete ich das soziale Netzwerk Reddit.

Letzten Monat habe ich diese Vermutung mit Fakten untermauert: 42% meiner Zeit im Browser habe ich auf beiden Seiten zusammen verbracht. Dabei zeigt mein Verhalten einen extremen Automatismus. Mein Tag beginnt auf meinem YouTube Feed und wann immer ich für wenige Sekunden Langeweile habe, bin ich direkt wieder dort. Ohne dass ich aktiv darüber nachdenke. So wird aus kurzen Pausen auch durchaus mal ein halber Tag. Fast schon suchtartig, ich habe definitiv ein Problem. Deswegen unterziehe ich mich in den kommenden zwei Wochen einem kalten Entzug. Kein Youtube oder ähnliche Seiten mehr, und auch kein Reddit. Andere soziale Netzwerke nutze ich nicht, Messenger sind erlaubt.

Vorbereitung

Mit den Parametern des Versuchs geklärt, machte ich mich direkt an die Vorbereitung, technisch und mental. Erste Frage: Wie zwinge ich mich dazu, diese Seiten tatsächlich zu vermeiden? Für mich ganz einfach, ich blockiere sie einfach komplett. Technisch werde ich dazu mein Pi-hole nutzen, das sowieso schon im ganzen Heimnetz lästige Werbung filtert. Einziger Nachteil ist, dass meine Frau ebenso unter dieser Maßnahme leiden muss wie ich. Egal, sie wusste ja, was sie da heiratet. Zumindest ihr Arbeitslaptop ist vom Pi-hole ausgenommen.

Viel interessanter ist die Frage, was ich mit der ganzen zusätzlichen Zeit anfangen will. Leider kann ich hier keine originellen Antworten liefern. Der Plan ist hauptsächlich konzentrierter bei meiner Masterarbeit zu sein. Trotzdem wird wohl abends und am Wochenende die ein- oder andere Stunde Freizeit dazu kommen. Für diese fallen mir drei ausgezeichnete Zwecke ein:

Lesen

Wollen wir nicht alle mehr lesen? Wie oft habe ich selbst schon gesagt, dass ich super gerne lese, aber einfach nicht die Zeit und Energie dafür finde? Jetzt habe ich keine Ausrede mehr. Meine Liste mit Büchern, die über die letzten Jahre immer länger geworden ist, kann ich endlich angehen. Drei gelesene Bücher sind mein Ziel, mal schauen, ob ich das schaffe.

Programmieren

Schon seit einiger Zeit arbeite ich an einer Idee für eine eigene App. Bisher hat mir mein Instant Gratification Monkey dabei einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das Projekt ist eher ein größeres, in zwei Wochen werde ich kaum signifikante Fortschritte machen. Trotzdem erhoffe ich mir, zumindest eine Unterseite fertig zu bekommen. Wenn ich nicht länger prokrastinieren kann, sollte das klappen.

Bloggen

Dieses Blog frisst um ehrlich zu sein jede Menge Zeit. Ich bin nicht sonderlich erfahren im Texten, entsprechend lange brauche ich, um einen Beitrag auf ein zufriedenstellendes Niveau zu bringen. In den zwei Wochen will ich mindestens zwei Beiträge schaffen. Vielleicht finde ich ja sogar Zeit, mich in die Richtung weiter zu Bilden, damit es in Zukunft leichter von der Hand geht.

Tagebuch schreiben

Zu einem guten Experiment gehört auch immer eine ordentliche Dokumentation. Die nächsten zwei Wochen werde ich dazu ein Tagebuch führen und meine Erfahrungen in Kurzform niederschreiben. Besonders achten möchte ich auf neue Gewohnheiten, nicht dass sich direkt ein neuer Zeitfresser anbahnt.

Tagebuch

Es geht los, ich ziehe es durch. Fest entschlossene Worte. Heute ist Freitag, Tag null. Um Mitternacht schaltet sich die Sperre scharf. Das Tagebuch ist vorbereitet. Ich mache wirklich ernst. Oder? Ich muss zugeben, die Fomo ist schon jetzt krass. Die nächsten Wochen erscheinen ein paar echt interessante Videos. Eigentlich will ich die nicht verpassen. Der Affe beginnt zu verhandeln: „Ein Video die Woche ist doch nicht schlimm. Das kannst du dir erlauben.“ Hart bleiben, es bleibt nie bei nur einem Video. Statt dem verräterischen inneren Monolog fange ich lieber das Lesen an. Ist es Betrug, wenn ich schon heute an meinen Zielen arbeite? Andererseits kann man nie zu früh anfangen.

Das erste Wochenende

Morgens stehe ich wie immer 1-2h vor meiner Frau auf. Normalerweise würde ich diese Zeit mit Surfen und Videos totschlagen. Nicht heute, heute verbringe ich den Morgen mit Videospielen. Auch das ist nicht unnormal, ich spiele phasenweise recht intensiv und ansonsten kaum. Momentan ist eine Spielphase.

Nach Frühstück und Hausarbeit wird dann ersteinmal gelesen. Über 1,5h am Stück. So lange habe ich das schon lange nicht mehr durchgehalten. Die fehlende Ablenkung ist dabei echt befreiend, ich habe schlicht nichts besseres zu tun. Am späteren Nachmittag kann ich mich dann noch etwas dem Blog widmen: Für einen Artikel die angefangene Rohfassung fertig gestellt, für einen anderen komplett geschrieben. Läuft.

Der Sonntag ist ähnlich. Gleich morgens schleife ich an Blogartikeln. Früher hätte es das nicht gegeben, viel zu viele YouTube Videos zu gucken. Gelesen wird mittags nochmal ähnlich viel, mittlerweile bin ich mit dem ersten Buch fast durch. So schnell war ich zuletzt wahrscheinlich bei Harry Potter, und da war ich 14. Der Nachmittag kommt wieder dem Blog zugute. Ich gehe über alle sechs Artikel in der Pipeline und bringe sie auf ein lesbares Niveau. Normalerweise brauche ich dafür Wochen.

Reflexion am Abend: Habe ich die sozialen Medien vermisst? Klares „Nein“. Ich hatte so viel zu tun, mir kam überhaupt nicht die Idee, mir dort die Zeit zu vertreiben. Hoffentlich bleibt das so.

Die erste Woche

Diese Woche stehen für mich zwei Sachen an: Mein Arbeitgeber veranstaltet von Dienstag bis Donnerstag eine virtuelle Entwicklerkonferenz. Dabei muss ich vor allem Dienstags einige Vorträge anhören. Ansonsten will ich meine Masterarbeit weiter vorantreiben. Dazu habe ich mir auch schon ein spezifisches Ziel gesetzt: Das aktuelle Kapitel soll fertig werden, 18 Seiten müssen dafür circa noch entstehen. Also ran ans Werk!

Am Montagmorgen erstmal reflexartig YouTube aufgerufen. Früher war das der normale Ablauf. Zum Glück ist die Seite blockiert, schnell wieder schließen. Der restliche Tag geht voll in die Uni. Ich schaffe ganze fünf Seiten. Produktivität wie zu Schulzeiten! Normal sind für mich vielleicht zwei Seiten, an einem guten Tag. Abends bin ich entsprechend auch leicht erschöpft, aber trotzdem entschlossen, mein Buch noch fertig zu lesen. Als nächstes will ich tatsächlich an meinen Schreibfertigkeiten arbeiten, dazu habe ich mir schon die entsprechende Literatur rausgesucht. Damit erreiche ich zwei meiner Ziele auf einmal, praktisch.

Am Dienstag kommt die Arbeit dann knüppeldick: Der ganze Vormittag ist voll mit Vorträgen der Entwicklerkonferenz. Zu meinem Unglück entdecke ich auch noch einen mittelgroßen Fehler in dem Programm, das ich für die Masterarbeit entwickle. Den zu korrigieren kostet mich drei Stunden. Dazu kommen natürlich nochmal mindestens drei Seiten Ausarbeitung. Mittagspause kann ich vergessen. Abends muss ich dann noch einkaufen, sonst gibt es morgen nichts zu essen. Die Pausenlose Arbeit schlägt auf die Laune, ich bin abends echt mies drauf. Etwas Freizeit brauche ich wohl doch. Nachdem alles fertig ist, wird noch etwas gelesen, sonderlich aufnahmefähig bin ich aber nicht mehr.

Der Rest der Woche läuft wieder besser: Ich habe weiter recht viel Arbeit, aber ohne Ablenkung ist sie echt machbar. Am Mittwoch bin ich mit dem Buch zum besseren Schreiben schon durch, dafür fällt das Lesen Donnerstag und Freitag aus.

Vermisst habe ich diese Woche immernoch nichts. Zu beschäftigt. Meine fehlende Ablenkung habe ich voll in mehr Produktivität umgesetzt. Von den geplanten 18 Seiten habe ich zwar nur 16 erreicht, aber das Kapitel hat einfach nicht mehr hergegeben. Mit dem zweiten Buch bin ich auch schon durch. Insgesamt eine erfolgreiche Woche, ich bin gespannt, was die nächste bringt.

Die zweite Woche

Das zweite Wochenende läuft grob wie das erste. Es wird wieder viel gelesen, mein neues Buch ist ein dicker Sammelband. Bis Ende der Woche schaffe ich das wahrscheinlich nicht. Andererseits sind das ja theoretisch mehrere Bücher in einem, wenn ich die einzeln zähle, erreiche ich mein Ziel trotzdem noch. Das Blog muss dieses Wochenende kürzer treten, ich sortiere meine Filme stattdessen neu. Das war schon länger mal nötig, jetzt nehme ich mir die Zeit dazu.

Die Arbeitswoche ist sehr strukturiert. Ich nehme an einer Schulung teil, die ganze Woche in Vollzeit. Zwischendurch gibt es genug Pause, damit gegen Ende vom Tag auch noch was hängen bleibt. Abends ist deswegen noch jede Menge Energie zum Lesen oder Bloggen vorhanden, besonders ersteres geht inzwischen auch deutlich flotter.  

In den Pausen vermisse ich YouTube und Reddit diese Woche zum ersten Mal. In einer 15min „Kaffeepause“ weiß ich nichts Sinnvolles mit mir anzufangen. Lesen lohnt nicht wirklich und in einen Schreibfluss komme ich in der Zeit auch nicht. Zeitung lesen ist das naheliegendste, doch irgendwann ist die Homepage der Zeit auch erschöpft. Ein ähnliches Problem habe ich abends. Dann ist meine Frau meist noch für ein paar Minuten mit Instagram beschäftigt. Früher war ich in dieser Zeit auf Reddit, jetzt bleibt mit nichts anderes übrig, als bei ihr aufs Handy zu linsen. Wenn ich sie wäre würde mich das nerven.

Fazit

Zwei Wochen auf YouTube zu verzichten ist weniger schwer gewesen als ich dachte. Die letzten Wochen hatte ich genug Arbeit, dass ich den Verlust meist nicht gemerkt habe. Am meisten vermisst habe ich die Seite in kurzen Arbeitspausen, in denen sich keine produktive Tätigkeit anbietet.

Was meine Ziele angeht, bin ich zufrieden. Tagebuch habe ich konsequent durch geschrieben, auf dem Blog hat sich auch einiges getan. Insgesamt ist jetzt für sechs Artikel die Veröffentlichung geplant. Das dreifache meiner Zielvorgabe! Gelesen habe ich auch genug: Nimmt man jedes Buch aus dem Sammelband einzeln, habe ich insgesamt vier Bücher geschafft, eins mehr als geplant. Nur programmiert habe ich nicht, schade. Vielleicht habe ich mir einfach zu viel vorgenommen, man kann ja nicht alle Hobbies gleichzeitig intensiv betreiben.

In der Zukunft möchte ich mir zumindest YouTube während der Arbeitszeit weiterhin konsequent verbieten. Die Produktivität brauche ich für die Masterarbeit einfach. Auch das Lesen am Abend will ich beibehalten, damit ich nicht den kompletten Abend vor dem Fernseher sitze. Für kürzere Pausen oder leere Zeiten am Abend möchte ich aber trotzdem nicht darauf verzichten. Am Wochenende habe ich also direkt ein neues Projekt: Automatisch in der Arbeitszeit YouTube auf meine Blockierliste setzen und abends wieder entfernen. Komme ich also doch noch zum Programmieren, super.

bis dann,
Sebastian